Blind Watchmaker

evoluzzerMein Beitrag zum Darwin-Jahr ist der Hinweis auf einen Simulationsklassiker, das Programm Blind Watchmaker, geschrieben von Richard Dawkins. Dawkins ist der wohl derzeit bekannteste Evolutionsbiologe und Verfechter der Darwinschen Theorie. Eine seine bekanntesten Publikationen ist das Buch Der blinde Uhrmacher – ein neues Plädoyer für den Darwinismus.

In diesem Buch hat Dawkins ein Gedankenexperiment konstruiert (und in ein Computerprogramm umgesetzt), das die Kraft der langsamen Anhäufung kleinster Veränderungen, d.h. der kumulativen Selektion demonstriert. Er zeigt dies an der Entwicklung abstrakter grafischer Formen, den Biomorphen.

Ausgangspunkt sind dabei rekursive Strukturen, konkret rekursive Bäume, an denen leicht zu sehen ist, wie komplizierte Muster entstehen, wenn gleiche Regeln unterschiedlich oft ausgeführt werden. Dawkins steuert das Zeichnen einer solchen Struktur über neun Gene, wie Länge eines Astes, Winkel einer Verzweigung oder Rekursionstiefe. Jedes dieser Gene kann mutieren und jeder der entstehenden Bäume besitzt dann eine spezifische genetische Formel, die Zahlenwerte seiner neun Gene. So entsteht ein neundimensionaler Raum, den Dawkins Biomorphland nennt und der mit seinem Programm erforscht werden kann: Der Betrachter wählt immer das Objekt aus, das seinem Züchtungsziel am nächsten kommt. Dieses gelangt zur Vermehrung und bringt Nachkommen mit jeweils einer mutierten Eigenschaft hervor, aus denen wiederum gewählt wird. Über die Ergebnisse war Dawkins selbst ziemlich überrascht (Der blinde Uhrmacher, S. 80):

Nichts in meiner Intuition als Biologe, nichts in meiner 20-jährigen Erfahrung im Programmieren von Computern  und nichts in meinen verrücktesten Träumen hatte mich auf das vorbereitet, was tatsächlich auf dem Bildschrim erschien  … Voller Argwohn begann ich zu züchten … Mein ungläubiges Erstaunen wuchs in dem gleichen Maße wie die sich entwickelnde Ähnlichkeit … mit einem Insekt.

Das originale Pascal-Programm hat Dawkins wohl selber nicht mehr, aber es wurde vielfach nachprogrammiert. Wer also dieses Gedankenexperiment nachvollziehen möchte, kann dies tun: Schöne Java-Versionen finden sich z.B. bei Anna Nardella oder der Biomorph Viewer von Jean-Philippe Rennard.BspBiomorph

DYNAMO

world2modellEs gibt einen aktuellen Anlass für einen neuerlichen Eintrag in der Kategorie SoftwareMuseum: Heute ist Jay W. Forrester 90 Jahr alt geworden. Forrester hatte Fähigkeiten in mehreren Ingenieurs-disziplinen, entwickelte Staubsauger und Stromgeneratoren und hält u.a. ein grundlegendes Patent für Speicherbausteine. Am bekanntestens sind allerdings seine Arbeiten an komplexen Simulatoren – auch die Computer dafür baute sein Team selber. Seine theoretische Arbeit befasste sich mit der Interaktionen zwischen Objekten in komplexen dynamischen Systemen und deren Simulation; er begründete damit das Feld der Systemdynamik (System Dynamics). Dafür wechselte er an die wirtschaftswissenschaftliche Fakultät des MIT, die MIT Sloan School of Management. Die Anwendung seiner Theorien in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften führte auch zur Mitarbeit im Club of Rome, woraus die Studie Grenzen des Wachstums entstanden ist.

fischfangmodellWie in anderen Fällen auch, entstand das Werkzeug für diese Arbeit wieder unter der Leitung von Forrester selber – die Simulationssprache DYNAMO. In dieser speziellen Programmiersprache werden Systemmodelle in Gleichungsform eingegeben, compiliert und können dann durchgerechnet werden. Ein für den Schulgebrauch geeigneter Abkömmling ist VU-DYNAMO (ein immer noch erhältliches MS-DOS-Programm). Forrester hatte allerdings von Anfang an eine spezielle Symbolik mit Zustandsgrößen und Flüssen entwickelt, die später direkt zur Implementation grafisch interaktiver Modellbildungssysteme verwendet wurden, wie STELLAPowersim oder Vensim (diesen Ansatz hatten wir uns bei der Entwicklumg von MODUS auch zu Eigen gemacht). Für die Verwendung im Unterricht gibt es (neben Vensim PLE, einer kostenlosen Bildungsversion) mit DYNASYS eine bewährte Version für Windows-Rechner, für die auch eine umfangreiche Modellsammlung und Unterrichtsmaterialien zur Verfügung stehen (die Abbildung oben zeigt ein damit erstelltes Modell zum Fischfang).

SimCity

SimCityWill Wright ist einer der berühmtesten Computerspiel-Designer. 1989 erschien sein erster weltweiter Erfolg, die Städtesimulation SimCity (für Amiga, C64, Atari ST, PC und Mac, später auch auf Spielkonsolen). Es war der Start für eine ganze Serie solcher Simulationen, etwa SimLife, SimEarth, SimAnt, SimFarm und später die Serie Die Sims. Die Spieler haben in diesen Programmen fast unüberschaubar viele Möglichkeiten, in das Spielgeschehen einzugreifen, Szenarien zu entwerfen und dadurch (weitgehend selbstgesetzte) Ziele zu erreichen. Obwohl es bei diesen Spielen keine Gewinner und Verlierer gibt, fesseln sie die Spieler über einen langen Zeitraum und über Fortsetzungsfolgen hinweg, besonders ersichtlich bei den Sims, für die es inzwischen zahlreiche Erweiterungen und Varianten gibt.

Bei SimLife, das 1992 erschien, kann z.B. ein Ökosystem simuliert werden, wobei die Spieler die Genetik der Tiere und Pflanzen, die die künstliche Welt bevölkern, selber festlegen und damit die Evolution des Gesamtsystems beeinflussen können. Ziel ist der Erhalt eines stabilen Ökosystems. So nimmt es nicht Wunder, dass es auch im Unterricht bei der Behandlung der Evolution eingesetzt wurde.

Interessant ist, dass der theoretische Hintergrund für die Modelle, die in diesen Simulationen verwendet werden, das Konzept des Künstlichen Lebens (Artificial Life) ist, bei dem Eigenschaften und Fähigkeiten lebender Systeme im Computer nachgebaut werden.  Die technische Umsetzung erfolgt mit Hilfe agentenbasierter Simulationen, bei denen Populationen von Individuen miteinander und mit ihrer Umgebung interagieren. Geeignete Werkzeuge dafür sind z.B. NetLogo und StarLogo TNG (von dem vor kurzem die Version 1.0 offiziell frei gegeben wurde), das durch die dort generierten 3D-Welten sich schon wieder in Richtung der Sim-Reihe entwickelt.

Noch mehr als ecopolicy sind die Programme der Sim-Reihe geeignet, komplexes Problemlösen und vernetztes Denken in spielerischer Form zu trainieren. Mich freut es deshalb sehr, dass SimCity von Electronic Arts für das OLPC-Projekt frei gegeben worden ist und damit auf dem XO-Laptop gespielt werden kann. Wer auch ohne XO heute noch SimCity spielen will, findet inzwischen freie Varianten wie lincity oder OpenCity.

ecopolicy

ecopolicycoverIn unserem laufenden Seminar hat mein Kollege Horst Koschwitz, ein Biologie-/Geographie- Lehrer, als Multimedia-Beispiel das Simulationsspiel ecopolicy vorgestellt. Das hat mich daran erinnert, dass ich dessen Urfassung, das Brettspiel Ökolopoly, schon vor 25 Jahren in Kursen eingesetzt habe, um komplexes Problemlösen zu trainieren. Frederic Vester hatte dieses Spiel entwickelt, zunächst als Papiercomputer, dann als Brettspiel und schließlich als Computersimulation. Seit 2007 gibt es die Version 2.51 (deutsch/ englisch) für Windows mit multimedialer Ausgestaltung. Das Spiel ist nach wie vor hochmotivierend (ob in Schulklassen oder Hochschulseminaren!) und sehr gut einsetzbar sowohl für individuelle Arbeit als auch in (Groß-) Gruppen.

oekolopolyDie Arbeit Frederic Vesters lernte ich noch als Biologiestudent kennen, als ich begann, mich mit Umweltschutz (wir nannten das damals Zivilisationsökologie) zu beschäftigen. Seinen systemtheoretischen Ansatz, für den er den Begriff vernetztes Denken prägte, hat er in mehreren Bestsellern populär gemacht. Seine wichtigsten Bücher wie Unsere Welt – ein vernetztes System (11. Auflage, 2002, dtv) und Die Kunst vernetzt zu denken (6. Auflage, 2007, dtv) sind immer noch erhältlich. Vester, 2003 gestorben, war nicht unumstritten, obwohl (oder gerade weil?) er in der Lage war, seine Ansätze fundiert, engagiert und doch so verständlich darzustellen, dass er große Adressatenkreise erreichte.